Helga Maria Craubner
Leben wie Musik
Ein Blog für feinsinnige Menschen und Freigeister, die sich nach innerer Klarheit, Ausdruck und schöpferischem Leben sehnen.
Menschenrechte beginnen im Inneren
75 Jahre Allgemeine Erklärung und was sie mit uns zu tun haben

Erinnerung an eine stille Revolution
Am 10. Dezember 1948 verkündete Eleanor Roosevelt als Vorsitzende der UNO-Menschenrechtskommission die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Es war eine stille Revolution – getragen von der Hoffnung, dass nach den Verwüstungen zweier Weltkriege ein gemeinsamer Wertmaßstab möglich sein könnte. Leidenschaft und Idealismus sind in diesem Dokument bis heute spürbar. Es ist die Sprache einer Welt, die lernen wollte, Menschlichkeit als Grundlage des Miteinanders zu begreifen.
Doch was damals als universales Versprechen formuliert wurde, bleibt auch heute fragil. Die Umsetzung dieser Werte ist kein abgeschlossener Prozess, sondern tägliches Ringen – außen wie innen. Denn die Frage, wie wir mit Freiheit, Würde und Verantwortung umgehen, stellt sich nicht nur auf internationaler Bühne, sondern im Kleinen – dort, wo wir leben, sprechen, handeln.
Wie im Großen, so im Kleinen
Folgt man dem alten hermetischen Gedanken „Wie im Kleinen, so im Großen“, dann sind Menschenrechte nicht nur politische Prinzipien, sondern auch innere Haltungen. Sie fordern uns auf, die gleichen Werte, die wir gesellschaftlich verteidigen, im persönlichen Umgang zu leben: mit uns selbst, mit unseren Nächsten, mit der Welt.
Wer sich einmal bewusst gemacht hat, wie es sich anfühlt, respektiert, gehört, ernst genommen zu werden, weiß, dass Würde kein theoretischer Begriff ist. Sie ist ein innerer Zustand – und zugleich ein feines Sensorium für Grenzen, Achtung und Mitgefühl.
Die Geschichte der Rechte – ein Weg der Erweiterung
Menschenrechte heute – und die kleinen Orte der Freiheit
„Wo beginnen Menschenrechte?“, fragte Eleanor Roosevelt später. Ihre Antwort: „In kleinen Orten, ganz in der Nähe – so klein, dass sie auf keiner Weltkarte zu sehen sind: in der Nachbarschaft, in der Schule, im Büro.“
Es ist dieser Gedanke, der mich berührt. Denn wenn sie im Kleinen keine Gültigkeit haben, dann sind sie auch im Großen nur Worte. Vielleicht liegt darin die eigentliche Aufgabe unserer Zeit: den inneren Kompass zu schärfen, der uns zeigt, wo wir selbst Würde, Achtung und Freiheit leben und wo wir sie vergessen.
Innere Menschenrechte – fünf alltägliche Felder
Die großen Artikel der Erklärung lassen sich wie Spiegel lesen. Sie zeigen, wie universelle Prinzipien im persönlichen Leben Gestalt annehmen können.
Würde
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
Doch wie selbstverständlich ist uns das – für uns selbst? Oft sind wir bereit, anderen Achtung zuzugestehen,
aber uns selbst verurteilen wir schnell. Würde beginnt dort, wo wir uns erlauben, nicht perfekt zu sein, und dennoch als ganzer Mensch zu gelten.
Sie stirbt, wo man sich überhört oder kleinmacht – auch im eigenen Inneren.
Unschuldsvermutung
„Jeder Mensch gilt als unschuldig, bis seine Schuld erwiesen ist.“
Wie oft wenden wir dieses Prinzip gegen uns selbst nicht an?
Wir entschuldigen uns im Voraus, übernehmen Schuld, die uns nie gehörte, oder verurteilen uns für Empfindungen, die einfach menschlich sind. Sich selbst die Unschuldsvermutung zu gewähren, ist ein stiller Akt der Gnade.
Meinungsfreiheit
Artikel 19 gewährt das Recht, seine Meinung frei zu äußern.
Aber wie frei sprechen wir mit uns selbst? Wie oft zensieren wir innere Stimmen, weil sie „nicht passen“, „nicht vernünftig“ klingen, oder weil wir gelernt haben, uns anzupassen? Meinungsfreiheit im Inneren bedeutet, dass wir auch unsere leisen, widersprüchlichen Gedanken hören dürfen –
ohne sie sofort zu bewerten.
Recht auf Erholung und Freizeit
„Jeder Mensch hat das Recht auf Erholung und Freizeit.“
Ein Satz, schlicht und revolutionär zugleich. Wie selbstverständlich ist es für uns, uns Pausen zuzugestehen und zwar nicht als Belohnung, sondern als Teil des Menschseins? Wer sich selbst Ruhe erlaubt, achtet die Grenze zwischen Tun und Sein, zwischen Wirken und Wachsen.
Recht auf Bildung – Entfaltung der Persönlichkeit
Artikel 26 spricht von Bildung, „die auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gerichtet ist“.
Nicht auf Konkurrenz, nicht auf Leistung, sondern auf das Wachsen in das eigene Wesen hinein. Sich bilden heißt, sich entfalten – und anderen die gleiche Entfaltung zugestehen. Das ist gelebte Toleranz.
Urheber*innenschaft
„Jede Person hat das Recht, geistige und materielle Interessen zu schützen, die aus eigener schöpferischer Arbeit entstehen.“
Auch das gilt im Inneren. Wir sind Urheber*innen unserer Gedanken, unserer Entscheidungen, unserer inneren Landschaft. Sich das bewusst zu machen, heißt Verantwortung zu übernehmen und Grenzen zu achten: „Ich lasse Deines bei Dir und nehme Meines zu mir.“
Schlussbemerkung
Mir ist es ein Anliegen, meinen Beitrag dazu zu leisten, dass wir eines Tages vielleicht gut, i.e. liebevoll, respektvoll, friedlich und offen miteinander umgehen. Dazu ist es notwendig, zuerst einmal liebevoll, respektvoll, friedlich und offen mit uns selbst umgehen zu lernen. Entfaltung der Persönlichkeit ist für mich kein Egotrip, sondern ein Beitrag zum Frieden auf dieser Welt. Sich an die Menschenrechte zu erinnern und zu üben, sie auf sich selbst anzuwenden, kann ein kleiner Schritt sein. - Und stell‘ Dir vor, wo kämen wir hin, wenn alle ihn tun würden…!?
Wir können der Tatsache nicht ausweichen, dass jede einzelne Handlung, die wir tun, ihre Auswirkung auf das Ganze hat. Albert Einstein



